Betreff
Umgang mit Schotter und Kiesgärten in der Stadt Kamen
hier: Vorschlag der Verwaltung zur Bürgeranregung gem. §24 GO NRW
und zum gemeinsamen Antrag der Fraktionen Bündnis 90/DIE GRÜNEN und Die Linke/GAL
Vorlage
113/2019
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag:

 

Die Verwaltung wird beauftragt, für zukünftige Bebauungspläne Festsetzungen bzw. Regelun­gen zu prüfen, die möglichst verhindern, dass Garten- und Vorgartenflächen überwiegend mit Schotter oder Kies bedeckt werden sowie eine Versiegelung der Grundstücksflächen möglichst beschränkt wird.

 


Sachverhalt und Begründung (einschl. finanzielle Möglichkeit der Verwirklichung):

 

In den letzten Jahren ist vermehrt ein Anstieg von Grundstücksflächen zu verzeichnen, die nicht mehr begrünt sind, sondern flächig mit Kieselsteinen oder Schotter bedeckt werden. Diese Art der Gestaltung kann in vielerlei Hinsicht negative Auswirkungen auf die Ökologie haben. Zum einen beeinflussen sie auf unterschiedliche Weise das Mikroklima, zum anderen kommt es durch die geringere Verfügbarkeit von Brutstätten und Nahrungsquellen, durch den Rückgang von Be­pflan­zung, zu einem drastischen Rückgang von Insekten und Vögeln. Durch diese negativen Auswirkungen auf Klima und Fauna sieht die Verwaltung es ebenfalls als wichtig an, diese Problematik stärker in den Fokus zu rücken.

 

Ende Mai erreichten die Stadt Kamen zwei Anträge mit dem Themenschwerpunkt „Schotter- und Kiesgärten in der Stadt Kamen“ und wie diese zukünftig vermieden werden können. Der erste Antrag wurde als Bürgeranregung gemäß § 24 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen durch den BUND gestellt und liegt der Verwaltung seit dem 23. Mai 2019 vor. Die Bürgeranregung wurde durch den zuständigen Haupt- und Finanzausschuss der Stadt Kamen in der Sitzung vom 2.7.2019 zur weiteren Beratung und Beschlussfassung an den Um­welt- und Klimaschutzausschuss sowie den Planungs- und Straßenverkehrsausschuss ver­wie­sen. (BV 052/2019) Ebenfalls am 23. Mai 2019 erreichte die Verwaltung ein Antrag der Fraktionen Die Linke/GAL und Bündnis 90 / DIE GRÜNEN.

 

Beide Anträge zielen darauf ab, die Versiegelung von Vorgärtenflächen zukünftig möglichst gering zu halten und entsprechende Festsetzungen zu treffen. Darüber hinaus fordert der Antrag der Fraktionen Die Linke/GAL und Bündnis 90 / DIE GRÜNEN auch die Schaffung eines Beratungs­an­gebotes für Gartenbesitzer*innen. 

 

Aufgrund der starken inhaltlichen Überschneidungen beider Anträge, sowie der Beratung in zwei Fachausschüssen, wird das gesamte Thema in einer Vorlage zusammengefasst. In dieser wer­den die einzelnen Punkte aufgeschlüsselt und eine inhaltlich fachliche Stellungnahme der Ver­waltung gegeben.

 

 

Zu den einzelnen inhaltlichen Forderungen und Fragen:

 

1.      Wie kann § 8 Abs. 1 LBauO NRW genutzt werden um die zunehmende Anzahl von Vorgärten aus Kies, Schotter o.ä. zu stoppen?

 

§ 8 Landesbauordnung NRW

Nicht überbaute Flächen der bebauten Grundstücke, Kinderspielplätze

 

(1) Die nicht mit Gebäuden oder vergleichbaren baulichen Anlagen überbauten Flächen der bebauten Grundstücke sind

1. wasseraufnahmefähig zu belassen oder herzustellen und

2. zu begrünen oder zu bepflanzen,

soweit dem nicht die Erfordernisse einer anderen zulässigen Verwendung der Flächen entgegenstehen. Satz 1 findet keine Anwendung, soweit Bebauungspläne oder andere Satzungen Festsetzungen zu den nicht überbauten Flächen treffen.

 

Der § 8 Abs. (1) regelt, wie nicht überbaute Flächen herzustellen sind. Allerdings besagt eine aktuelle Kommentierung der Bauordnung, dass die in § 8(1) BauO NRW getroffene Regelung unbestimmt sowohl bezogen auf die Art der Ausführung als auch bezogen auf das erforderliche Ausmaß sind: „In welchem Umfang nicht überbaute Flächen wasseraufnahmefähig zu belassen oder herzustellen sind, lässt die Regelung mit der Einschränkung `soweit sie nicht für eine andere zulässige Verwendung benötigt werden‘ offen“ (rehm-Verlag: Kommentar zur Bauordnung für das Land NRW, April 2019).

 

Über den Anteil der in Baugebieten von Bebauung und Versiegelung freizuhaltender Flächen wird durch die Gemeinden in der Bauleitplanung auf Grundlage der Regelungen der BauNVO (§ 16, § 19) durch die Festsetzung einer Grundflächenzahl (GRZ) entschieden. Dabei lässt die Bau­nutzungs­ver­ordnung gem. § 19 Abs. 4 Satz eine Überschreitung der Grundflächenzahl von bis zu 50% für bestimmte Anlagen wie Garagen oder Stellplätze zu, bis zu einer Grundflächenzahl von max. 0,8.

 

Dies bedeutet in der Praxis, dass, soweit eine Überbauung von Grundstücksflächen nach pla­nungsrechtlichen Vorschriften (v.a. GRZ) zulässig ist, die Entscheidung, ob diese z.B. für Zwecke wie Zugänge, Zufahrten, Stellplätze, Abstellplätze oder Lagerplätze benötigt werden, beim Bauherren liegt. (vgl. Kommentar Bauordnung für das Land NRW, rhem-verlag).

 

Ein bauaufsichtliches Einschreiten ist aufgrund des § 8 (1) somit kaum möglich, vielmehr gilt es hier die planungsrechtlichen Grundlagen zu beachten. Der Gesetzgeber hat auch für das häufig zu Anwendung kommende Einfache Baugenehmigungsverfahren nach § 64 BauO NRW explizit festgelegt, dass die Regelungen des § 8 (1) in diesem Verfahren nicht durch die Bauaufsichts­behörden geprüft werden.

 

§ 64 - Einfaches Baugenehmigungsverfahren

(1) Bei der Errichtung und Änderung von Anlagen, die keine großen Sonderbauten sind, prüft die Bauaufsichtsbehörde nur die Vereinbarkeit des Vorhabens mit

1. den Vorschriften der §§ 29 bis 38 des Baugesetzbuchs,

2. beantragten Abweichungen im Sinne des § 69,

3. den §§ 4, 6, 8 Absatz 2, §§ 9, 10, 47 Absatz 4, 48 und 49, bei Sonderbauten auch mit den Brandschutzvorschriften,

 

Zusammenfassung: Der § 8 Absatz (1) BauO NRW allein ist kein rechtssicheres Mittel für die Bauverwaltung, um gegen „Schottergärten“ in Bestandsgebieten vorzugehen.

Um die Versiegelung von neuen Baugrundstücken möglichst gering zu halten, werden in aktuellen Bebauungsplänen der Stadt Kamen die nach BauNVO mögliche Überschreitungsmöglichkeiten der GRZ bewusst durch Festsetzungen beschränkt. Der Bebauungsplan Nr. 36 Ka-Me "Wohn­be­bauung südlich Dorf Methler" lässt eine Überschreitung der festgesetzten maximalen Grund­flächenzahl von 0,4, für Nebenanlagen, Stellplätze, Carports, Garagen und ihre Zufahrten gem. § 19 (4) Satz 2 BauNVO bereits nicht mehr zu.

 

2.      Inwiefern kann die Abwassersatzung der Stadt Kamen angepasst werden, um zukünftig Schottergärten als versiegelte Flächen in die Gebührenpflicht zu nehmen?

 

Die Abwassersatzung kann diese Angelegenheit nicht abschließend regeln.

 

3.      Die Verwaltung soll Beratungsangebote für Gartenbesitzer*innen mit Informationen über eine pflegeleichte und ökologisch wertvolle Gartengestaltung anbieten

 

An dieser Stelle soll darauf verwiesen werden, dass die Verwaltung mit dem Klimaschutzmanager bereits eine erste Ansprechperson in diesem Bereich bietet. Zusätzlich verteilt die Verwaltung auf Nachfrage und bei Bauberatungsterminen verschiedene Informations-Flyer, welche sich mit der Thematik „Blühende Vielfalt im Vorgarten“ sowie „Dachbegrünungen“ befassen.

 

Eine Beratung durch die Verwaltung darf sich nur auf grundsätzliche Fragestellungen von Vor- und Nachteilen von Schotter- und Kiesgärten beziehen und die Folgen für Klima, Umwelt und Gebühren aufzeigen. Für eine detaillierte Beratung zur alternativen Gestaltung der Flächen sind Betriebe des Garten- und Landschaftsbaus oder Landschaftsarchitekten ansprechbar. In diesem privatwirtschaftlichen Bereich darf die Verwaltung nicht tätig werden. 

 

4.      In zukünftigen Bebauungsplänen sollen Verbote und Gestaltungsgebote darauf hinwirken, dass Vorgärten begrünt werden müssen und nicht versiegelt werden dürfen.
Bzw.: Es ist zu beschließen, dass Garten- und Vorgartenbereiche nicht überwiegend mit Schotter oder Kies bedeckt werden dürfen.

 

 

Theoretisch erlauben die geltenden Gesetze eine wie in den Anträgen geforderte Regelung durch die textlichen Festsetzungen in Bebauungsplänen. So ist es möglich, die Gestaltung der Vorgar­ten­flächen über Festsetzungen in Bebauungsplänen zu regeln. So besagt das Baugesetzbuch, dass „Bauleitpläne[...] dazu beitragen [sollen], eine menschenwürdige Umwelt zu sichern, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln sowie den Klimaschutz und die Klimaanpassung [...] zu fördern[...].“ (§1 Abs. 5 BauGB).

 

Die Rechtsgrundlage für gestalterische Festsetzungsmöglichkeiten ist § 9 Abs. 4 BauGB und darauf basierend § 89 Abs. 2 der BauO NRW 2018. Demnach wird der Kommune ermöglicht, gestalterische Festsetzungen als Bestandteil des Bebauungsplans vorzunehmen. Weiter heißt es in § 9 Abs. 1 Nr. 25 BauGB, dass zur Erhaltung und Schaffung von Grünflächen und aus Gründen des Naturschutzes und der Landschaftspflege Eingriffsregelungen im Sinne von „überlagernden Festsetzungen“ getroffen werden können. Dabei dürfte es auch zulässig sein, Materialien für die Ausgestaltung von Vorgärten festzulegen. Die Festlegung im Bebauungsplan, dass Vorgärten mit Vegetation zu gestalten sind, dient dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlage und dem Klimaschutz.

 

Eine mögliche Formulierung könnte daher lauten:

„Der Vorgarten ist wasseraufnahmefähig herzustellen, zu begrünen und zu bepflanzen. Versiegelte Flächen sind nur für Zuwege, Zufahrten, Stellplätze und Müllstandplätze zu­lässig.“

 

Durch den vorgeschlagenen Wortlaut wird die Versiegelung durch Unkrautschutzfolien und die Errichtung von Kies- und Schotterflächen indirekt verboten. Jedoch werden die Flächen für Zu­wege, Zufahrten, Stellplätze und Müllstandplätze nicht beschränkt, es bleibt in der Entscheidung des Bauherren welche Flächen hierfür genutzt werden (s. Erläuterungen unter Nr.1). Eine Be­schränkung wäre nur über die Grundflächenzahl möglich.

 

Für ein direktes Verbot wäre zu ergänzen: „Die flächige Gestaltung der Gärten mit Materialien wie z.B. Schotter und Kies ist unzulässig“.

 

Aus einer solchen Festsetzung samt Formulierung ergeben sich aber zumindest drei Probleme, welche die Umsetzung und Einhaltung unsicher machen.

 

I. Festsetzungen sind im jeweiligen Einzelfall zu prüfen

Festsetzungen sind hinreichend städtebaulich zu begründen und zu prüfen. Die Festsetzung von Bepflanzungen und der Ausschluss von Kies- und Schotterflächen im Vorgarten bedarf einer städte­baulichen Begründung durch gestalterische Aspekte und ihre Berücksichtigung im Rahmen der Grundsätze der Bauleitplanung nach § 1 Abs. 6 Nr. 7 a, § 1a Abs. 2. Mit einer rein ökolo­gischen Argumentation lässt sich eine gestalterische Festsetzung nicht begründen und sie wäre daher unzulässig!

 

Zudem kann die Begründung nicht gebietsübergreifend erstellt werden, da jedes Baugebiet, jedes Viertel oder jeder Ortsteil eine eigene städtebauliche Struktur aufweist. Es benötigt demnach jedes Gebiet mit einer eigenen städtebaulichen Struktur eine separate Begründung. Daher kann diese oben genannte Formulierung kein pauschalisierter Baustein für alle Bauleitpläne sein. Es müsste also für jedes Gebiet einzeln geprüft werden und ein Änderungsverfahren für jeden be­troffenen B-Plan begonnen werden.

 

II. Ein Verbot ist ein erheblicher Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Grundstückseigentümers

Erschwerend kommt hinzu, dass ein striktes Verbot von bspw. Schotter und Kies im Vorgarten weit in die privaten Belange der Grundstückseigentümer eingreift. Die privaten Belange müssen in der Aufstellung der Bebauungspläne gerecht mit und gegenüber den öffentlichen Belangen ab­gewogen werden. Dies fordert das Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7 BauGB).

Mit einer solchen Festsetzung könnte auch nicht der Rückbau bereits bestehender Kies- und Schottergärten gefordert werden, da diese bereits „Bestandsschutz“ genießen. Bürger*innen in den Bestandsgebieten könnten sich daher ungerecht behandelt fühlen.

Gerade im Hinblick auf den demografischen Wandel und die eingeschränkten Möglichkeiten auch im höheren Alter noch einen Garten zu pflegen, würde den Bürger*innen die Möglichkeit einer individuellen Gartengestaltung genommen bzw. stark eingeschränkt.

 

 

III. Was bedeutet „flächig“?

Mit der erweiterten Formulierung („Die flächige Gestaltung der Vorgärten mit Materialien wie z.B. Schotter und Kies ist unzulässig“) soll eine flächige Gestaltung als unzulässig erklärt werden. Dafür wäre zu klären, wie eine flächige Gestaltung definiert ist und wie im Einzelfall darüber entschieden werden soll. Ist bereits ein Spritzschutz, der regelmäßig aus Schotter oder Kies hergestellt wird und die Fassade schützt, an der Hausfassade unzulässig? Sind Teilflächen mit Schotter oder Kies erlaubt? Wenn ja, bis zu welcher Größe oder Abmessung? Wie wird mit Flächen umgegangen, die geschottert sind, jedoch an vereinzelten Stellen bepflanzt wurden? Ohne exakte Definition wird sich in der Praxis eine große Grauzone finden lassen, die eine faire Beurteilung unmöglich macht. 

 

Fazit:

Die Verwaltung erkennt den Nutzen solcher Festsetzungen vor allem in neuen Bauleitplänen an und setzt diese daher auch aktuell und zukünftig um. Entscheidungen darüber sind jedoch im Ein­zelfall (neuer Bebauungsplan) zu treffen. Entwürfe von Bebauungsplänen werden daher mit ent­sprechenden Vorschlägen ausgestaltet. Die große Rechtsunsicherheit bei Bestandsgebieten sieht die Verwaltung allerdings als problematisch.

 

Da innerhalb des Kreisgebietes mehrere Anträge zu dieser Thematik vorliegen, wurde auch auf Kreisebene bereits darüber diskutiert. Im Ergebnis einer ersten extern eingeholten rechtlichen Einschätzung, wird eine Regelung per Gestaltungssatzung auf Dauer für nicht sonderlich rechts­sicher, sondern vielmehr für leicht angreifbar gehalten. Dies belegen bereits jetzt zahlreiche Bei­spiele aus der Arbeitspraxis. Im Vordergrund sollte daher stehen, Bürger*innen und Bauherren mittels Aufklärungskampagnen zu sensibilisieren und bereits pro forma zu informieren. Es hat sich gezeigt, dass ein solches Vorgehen mehr Akzeptanz schafft und klimaschützende Maßnahmen dann bereitwilliger von den Bürgern*innen umgesetzt werden.

 

Finanzielle Auswirkungen auf den Haushalt der Stadt Kamen sind nicht erkennbar.