hier: Bürgeranregung gem. § 24 GO NRW
- Anlass
Mit Schreiben vom 11.01.2019 (Anlage 1) erhielt die Stadt Kamen eine gemeinsame Bürgeranregung der Organisationen/Vereine Zivilcourage, GEW und DFG-VK auf Umbenennung der Fritz-Haber-Straße in Clara-Immerwahr-Straße/Weg.
- Rechtsgrundlagen Straßenumbenennung
Die Straßenbenennung/ -umbenennung ist in Nordrhein-Westfalen nicht spezialgesetzlich geregelt und fällt in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde.
Eine Straßenbenennung/-umbenennung ist ein adressatloser, sachbezogener Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung, der ausschließlich im öffentlichen Interesse erfolgt. Bei einer Allgemeinverfügung i. S. d. § 35 S. 2 VwVfG NRW ist eine Anhörung der gem. § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW entbehrlich.
Gem. § 4 II 3 NWStrWG betraut der Gesetzgeber in NRW die Gemeinden mit der Entscheidung über die Straßenbenennung. Die Straßenbenennung und auch die Straßenumbenennung stehen im Ermessen der Gemeinde. Im öffentlichen Interesse haben Straßenbenennungen zum einen Ordnungs- und Erschließungsfunktionen zu erfüllen, zum anderen dienen sie auch der gemeindlichen Selbstdarstellung. Grundsätzlich wird den Gemeinden die Befugnis zuerkannt, eine bereits benannte Straße umzubenennen. Aufgrund der fehlenden Normen ist bei Straßenbenennungen / Straßenumbenennungen den Gemeinden in Nordrhein-Westfalen möglicherweise ein größerer Gestaltungsspielraum als in anderen Bundesländern eingeräumt. Die Kommune kann jedoch nicht willkürlich Gebrauch davon machen. Sie muss ihre Entscheidung abwägen. Die Gründe, die für eine Umbenennung sprechen, sind nach den Grundsätzen der Erforderlichkeit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit mit dem Interesse der Anwohner an der Beibehaltung des bisherigen Straßennamens abzuwägen. Es wird eine besondere Betroffenheit der Anwohner durch eine Straßenumbenennung gesehen. Für den Anwohner entstehen zum einen nachteilige Folgen tatsächlicher Art (z. B. Änderung von Briefköpfen, Visitenkarten, Stempeln, Schildern) oder rechtlicher Art (Änderung des Personalausweises, Fahrzeugscheins). Die Gemeinde ist verpflichtet, nachteilige Folgen für die Anwohner in die Ermessensentscheidung einzubeziehen.
Der Rat der Stadt Kamen hat keine örtlichen Regelungen / Richtlinien / Satzungen für die Benennung/Umbenennung von Straßen beschlossen.
- Zuständigkeiten
- Gem.
§ 24 Gemeindeordnung NRW in Verbindung mit § 6 der Hauptsatzung der Stadt
Kamen ist der Haupt- und Finanzausschuss das zuständige Gremium für die
Erledigung von Anregungen und Beschwerden.
- Gem.
§ 16 Abs. 4 Ziffer b) der Hauptsatzung der Stadt Kamen in der Fassung der
Bekanntmachung vom 28.02.2017 entscheidet der Rat der Stadt Kamen über
die Benennung und Umbenennung von Straßen.
è Der Haupt- und Finanzausschuss müsste die Bürgeranregung zur Entscheidung an den Rat der Stadt Kamen verweisen.
è
Der Rat der Stadt Kamen ist zuständig für die
Entscheidung über die Umbenennung der Straße.
- Prüfung/Abwägung
Straßenbenennung Fritz-Haber-Straße
Nach den vorliegenden Unterlagen erfolgte im Zuge der kommunalen Neuordnung durch Beschluss des Hauptausschusses der Stadt Kamen eine Umbenennung der Straße „Kreuzstraße“ in „Fritz-Haber-Straße“. Im Rahmen der kommunalen Neuordnung war es erforderlich, eine Vielzahl von Straßen aufgrund von Überschneidungen bei der Bezeichnung bzw. zur besseren Abgrenzung oder Vermeidung von Verwechslungen durch Namensähnlichkeiten umzubenennen. Die Vorschläge wurden von einem eigens eingerichteten Ausschuss zur Neu- bzw. Umbenennung von Straßen erarbeitet und nach Vorberatung im Kulturausschuss dem Hauptausschuss am 15.08.1968 zur Entscheidung vorgelegt und beschlossen.
Es war durchaus ein gängiges Verfahren, Straßen nach Nobelpreisträgern zu benennen. Fritz Haber war deutscher Chemiker und Nobelpreisträger für Chemie (1918). Seine Forschungen ermöglichten die Massenproduktion von Stickstoffdünger, wodurch die Ernährung der Weltbevölkerung verbessert wurde. Durch diese Entdeckung bewahrte er Millionen von Menschen vor dem Hungertod. Andererseits führten seine Versuche mit Phosgen und Chlorgas dazu, dass im ersten Weltkrieg unter seiner Leitung erstmals Giftgas als Massenvernichtungswaffe eingesetzt wurde. Er gilt als „Vater des Gaskrieges“. Er war mitverantwortlich für Kriegsverbrechen.
Es ist nicht detailliert nachvollziehbar, nach welchen Gesichtspunkten die Straßenbenennung nach Fritz Haber durch den Hauptausschuss im Jahre 1968 beschlossen wurde.
Betroffenheit / Aufwand / Abwägung
Der beigefügte Lageplan (Anlage 2) verdeutlicht, dass ein großer Bereich der Fritz-Haber-Straße anbaufrei ist. Lediglich 5 Gebäude haben die Bezeichnung Fritz-Haber-Straße (Haus-Nr. 1, 1a, 2, 4 u. 6).
Von einer Umbenennung betroffen sind nach derzeitigem Stand insgesamt 28 Personen. Eine damit also geringe Zahl von Betroffenen. Bei den Anwohnern handelt es sich um Mieter/Eigentümer.
Des Weiteren sind in der Fritz-Haber-Straße zwei Gewerbe angemeldet.
Eine Umbenennung würde sich wie folgt auswirken:
- Personalausweises à Änderung ist Pflicht, aber gebührenfrei (Anschrift wird geändert und aufgeklebt)
- Führerschein à Änderung ist nicht notwendig, da kein Straßenname eingetragen ist
- Reisepass à Änderung ist nicht erforderlich, da kein Straßenname eingetragen ist
- Fahrzeugschein à Änderung ist Pflicht (Gebühr 10,80 €), aber im Falle der Umbenennung einer Straße gebührenfrei.
- Kosten für Änderungsmitteilungen im privaten u. beruflich/geschäftlichen Bereich (Versicherungen, Banken, Zeitungen, Schule, Vereine, Verbände) sowie Änderung von Briefpapier, Visitenkarten, Internetdarstellungen u. Stempeln.
- Des
Weiteren hat der jeweilige Grundstückseigentümer sein Grundstück bzw.
Haus mit der ihm zugeteilten Hausnummer zu versehen (§ 126 BauGB, § 10
der Ordnungsbehördlichen Verordnung über die Aufrechterhaltung der
öffentlichen Sicherheit u. Ordnung auf Verkehrsflächen und in Anlagen im
Gebiet der Stadt Kamen in der Fassung der Bekanntmachung vom 08.07.2002).
Im Rahmen einer Straßenumbenennung bleiben die Hausnummern meistens erhalten, so dass dafür voraussichtlich keine Kosten entstehen würden. Auch im Falle der Umbenennung der „Fritz-Haber-Straße“ können die bestehenden Hausnummern erhalten bleiben, so dass diesbezüglich keine Kosten entstehen würden.
Die Straße „Fritz-Haber-Straße“
trägt ihren Namen seit nunmehr über 50 Jahren. Es gibt keine Ewigkeitsgarantie
für das Bestehen eines Straßennamens. Vielmehr ist es dem allgemeinen
Lebensrisiko zuzurechnen, im Laufe des Lebens von einer Straßenumbenennung
betroffen zu werden.
Der Aufwand für die Anwohner / Gewerbetreibenden / Eigentümer ist gegenüber dem
öffentlichen Interesse abzuwägen. In diesem Fall kann festgestellt werden, dass
nach 50 Jahren eine Straßenumbenennung hinnehmbar ist und eine derartig geringe
Kostenbelastung als zumutbar zu bewerten ist.
Den Anwohnern / Gewerbetreibenden sollten hinsichtlich der Erreichbarkeit keine
Nachteile entstehen (z. B. Umstellungsphase Navigationsgeräte, Stadtpläne). Um
die Erreichbarkeit weiter zu gewährleisten, könnte die Beschilderung für einen
Übergangszeitraum von 3 – 6 Monaten nachrichtlich mit einem Hinweis versehen
werden oder aber beide Straßenschilder in der Übergangszeit angebracht bleiben,
wobei das Schild Fritz-Haber-Straße mit einem roten Klebestreifen überklebt
oder mit roter Farbe durchgestrichen werden könnte (Lesbarkeit sollte jedoch
erhalten bleiben = Fritz-Haber-Straße).
Die Umbenennung ist nach der Beschlussfassung durch den Rat im Amtsblatt zu
veröffentlichen und den Eigentümern/Gewerbetreibenden zudem schriftlich
mitzuteilen. Die Anwohner werden durch das Bürgerbüro angeschrieben, mit dem
Hinweis, welche Dokumente neu ausgestellt werden müssen. Verwaltungsseitig ist
über die Umbenennung darüber hinaus zu informieren (Anschreiben an die
verschiedenen Fachbereiche, Kreis Unna, Telekom, Post, Amtsgericht),
Anschriftenänderungen sind vorzunehmen, der Straßenschlüssel ist zu ändern. Die
betroffenen Anlieger / Eigentümer / Gewerbetreibenden haben damit auch einen
ausreichenden zeitlichen Vorlauf für die Vorbereitungen.
Eine Befragung der 32 Anwohner /
Eigentümer / Gewerbetreibenden, die von der Benennung der Straße direkt
betroffen sind, wurde zwischenzeitlich durch die Verwaltung durchgeführt. Im
Ergebnis kann festgestellt werden, dass 22 Rückmeldungen vorliegen. Für eine
Umbenennung gingen 7, gegen eine Umbenennung gingen 15 Rückmeldungen ein. Damit
spricht sich die Mehrzahl gegen eine Umbenennung aus.
Im Detail sind die Interessen der
Allgemeinheit gegenüber den Interessen des Einzelnen abzuwägen.
Es stellt sich die wesentliche Frage, ob vor dem Hintergrund des Wissens über
Fritz Haber („Vater des Gaskrieges“) die Benennung einer Straße und damit
Würdigung seiner Person im öffentlichen Interesse zugemutet und
gesellschaftlich / ethisch vertreten werden kann.
Einige Städte sind den Anregungen auf Straßenumbenennung gefolgt (z.B.
Heidelberg, Kiel). Andere haben den Straßennamen beibehalten (z.B. Marl,
Karlsruhe).
Bundesweit gibt es zahlreiche Straßenbenennungen nach Fritz Haber (u.a.
Würzburg, Köln, Wesel, Ludwigshafen, Bremen, Nürnberg, Solingen, Wiesbaden)
oder Haberstraße in Dortmund, Velbert, Leverkusen, Troisdorf u. Herne. Auch
wissenschaftliche Institute tragen weiterhin seinen Namen. Ob hier
Umbenennungen diskutiert oder in Erwägung gezogen wurden ist allerdings nicht
im Einzelnen bekannt.
In Karlsruhe wurde der Straßenname beibehalten, aber ein Zusatzschild
angebracht („Fritz Haber, 1868 – 1934 – Chemiker. Nobelpreisträger. Die von ihm
1913 an der Technischen Hochschule Karlsruhe entwickelte Ammoniaksynthese
ermöglichte die Produktion von Düngemittel ebenso wie die von Sprengstoff. Im
Ersten Weltkrieg war er maßgeblich am Einsatz von Giftgas als Waffe an der Front
beteiligt. Dieses Kriegsverbrechen gilt heute als Beispiel für
verantwortungslose Wissenschaft.“). Unter Einbeziehung des eingeholten
Meinungsbildes der Betroffenen, die sich überwiegend gegen eine Umbenennung
ausgesprochen haben, könnte die Anbringung eines Zusatzschildes eine
angemessene Lösung im Sinne aller Beteiligten darstellen.
Die Straßenbezeichnung könnte insofern als „Mahnmal“ fungieren und in diesem
Fall auf die Zwiespältigkeit der Wissenschaft als Fluch und Segen hinweisen.
Der Vorschlag, die Straße nach Clara Immerwahr zu benennen
(Clara-Immerwahr-Weg/Straße) obliegt der Entscheidung des Rates im Rahmen der
Umbenennung. Informationen zur Person sind u.a. unter dem Link der
Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg https://www.lpb-bw.de/immerwahr_5_2015.html
abrufbar.
Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass es im Sinne des Gleichstellungsbeirates sein würde, eine Straße nach weiblichen Persönlichkeiten zu benennen. Sollte keine Umbenennung der Fritz-Haber-Straße in eine Clara-Immerwahr-Straße erfolgen, so könnte auch in Erwägung gezogen werden, bei den nächsten Straßenbenennungen eine Straße nach Clara Immerwahr zu benennen.
Ergebnis:
Schlussendlich bedarf es nach sorgfältiger Abwägung der Grundsatzentscheidung
des Rates der Stadt Kamen, ob eine Umbenennung der Fritz-Haber-Straße erfolgen
soll.
Im Falle einer Umbenennung ist auch über den neuen Straßennamen zu entscheiden.