hier: Stellungnahme der Stadt Kamen
Beschlussvorschlag:
Der Planungs- und Straßenverkehrsausschuss beschließt die in Sachverhalt
und Begründung dargestellte und erläuterte Stellungnahme zur 85. Änderung des
Flächennutzungsplanes sowie zum Bebauungsplan Nr. 117 der Stadt Werl. Die
Verwaltung wird beauftragt, die Stellungnahme der Stadt Werl zuzuleiten.
Sachverhalt und Begründung (einschl. finanzielle Möglichkeit der Verwirklichung):
Im Rahmen der Beteiligung benachbarter / betroffener Gemeinden gem. § 2
(2) Baugesetzbuch (BauGB) hat die Stadt Kamen die Möglichkeit zur Abgabe einer
Stellungnahme zur 85. Änderung des Flächennutzungsplanes sowie zum
Bebauungsplan Nr. 117 „Am Hellweg“ der Stadt Werl. Mit Schreiben vom 18.09.2014
hat die Stadt Werl über die Beschlüsse zur Einleitung der entsprechenden
Verfahren informiert und fordert zur Abgabe einer Stellungnahme auf.
Die Verwaltung schlägt vor, die nachfolgenden Ausführungen als Stellungnahme zu beschließen. Die
Inhalte sind im Wesentlichen Ergebnis einer im Arbeitskreis des „Regionalen
Einzelhandelskonzeptes östliches Ruhrgebiet und angrenzende Bereiche“ (REHK)
gemeinsam abgestimmten sachlichen Vorgehensweise. Alle Arbeitskreismitglieder
werden in ähnlicher Weise argumentieren und eine entsprechende Stellungnahme
abgeben.
Stellungnahme der Stadt Kamen:
Gegenstand dieser Bauleitplanverfahren ist die Absicht der Stadt Werl
zur Ansiedlung eines Herstellerdirektverkaufszentrums (Factory-Outlet-Center,
kurz FOC) mit einer max. Verkaufsfläche von 13.800 m² südlich der Bundesstraße
1, nahe der A 445, Anschlussstelle Werl-Zentrum, Büderich.
Da der Vorhabenstandort zurzeit im planungsrechtlichen Außenbereich
liegt, setzt die Realisierung des großflächigen Einzelhandelsvorhabens zuvor
eine entsprechende bauleitplanerische Flächenausweisung voraus. Zu diesem Zweck
beabsichtigt die Stadt Werl auf der Ebene des Flächennutzungsplans die
bisherige Darstellung einer Fläche für die Landwirtschaft in die Darstellung
eines sonstigen Sondergebietes „Großflächiger Einzelhandel –
Herstellerdirektverkaufszentrum“ mit max. Verkaufsfläche von 13.800 m² zu
ändern. Auf der Ebene der verbindlichen Bauleitplanung soll ein sonstiges
Sondergebiet mit entsprechender Zweckbestimmung festgesetzt werden. Die
vorgesehenen Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung sollen das FOC mit
einem Sortimentsschwerpunkt im Bereich „Bekleidung, Sportbekleidung (9.600 m²)“
und im Bereich „Schuh- und Lederwaren (1.800 m²)“ ermöglichen. Auf die
sonstigen zulässigen Sortimente entfallen max. 2.400 m² Verkaufsfläche.
Neben den planungsrechtlichen und städtebaulichen Aspekten hat das
Projekt auch eine besondere Brisanz, da die Stadt Werl Mitunterzeichner der
interkommunalen Vereinbarung ist, die die Grundlage des „Regionalen
Einzelhandelskonzeptes östliches Ruhrgebiet und angrenzende Bereiche“ (REHK)
mit den dort kooperativ entwickelten und vereinbarten Prüf- und Bewertungskriterien
für Einzelhandelsgroßprojekte mit überlokaler Ausstrahlung bildet. Die Stadt
Kamen ist ebenfalls Mitglied im Arbeitskreis des REHK. Der Haupt- und
Finanzausschuss hat zuletzt in seiner Sitzung am 12.11.2013 einstimmig die 2.
Fortschreibung des REHK beschlossen und die Verwaltung beauftragt, auf der
Grundlage weiter im Arbeitskreis des REHK mitzuarbeiten (Vorberatung im
Planungs- und Umweltausschuss am 07.10.2013 Beschluss einstimmig bei einer
Enthaltung).
Die Stadt Kamen hat sich zudem im November 2011 der von der Stadt Hamm
initiierten „Gemeinsamen Erklärung zum FOC Werl der Städte und Gemeinden
Arnsberg, Ahlen, Bergkamen, Bönen, Dortmund, Hagen, Hamm, Kamen, Iserlohn,
Lippstadt, Lünen, Menden, Meschede, Paderborn, Schwerte, Soest, Sundern, Unna,
Warstein, Werne“ angeschlossen und diese mit unterzeichnet. Zentraler Inhalt
der gemeinsamen Erklärung der genannten Städte und Gemeinden ist eine strikte
Ablehnung, „die Innenstädte und das funktionierende Geflecht der Groß-, Mittel-
und Kleinstädte in der Region durch unbedachte und räumlich fehlgerichtete
Ansiedlungsvorhaben zu gefährden oder sogar scheitern zu lassen“.
Die Planungsabsichten der Stadt Werl für das FOC sind planungsrechtlich
folgendermaßen zu bewerten:
Raumordnung
Gemäß § 1 Abs. 4 BauGB ist die Bauleitplanung der Gemeinden den Zielen
der Raumordnung anzupassen. Diese Anpassungspflicht löst für die planenden
Gemeinden eine strikte Bindungswirkung aus. Sie ist durch die Gemeinden auch
nicht im Wege planerischer Abwägungsentscheidung überwindbar. Ziele der
Raumordnung enthalten in NRW insbesondere der Landesentwicklungsplan und die
Regionalpläne. Hier steht der Bauleitplanung der Stadt Werl der sachliche
Teilplan „großflächiger Einzelhandel“ zum LEP NRW (siehe auch: http://www.nrw.de/landesregierung/landesplanung/lep-sachlicher-teilplan-grossflaechiger-einzelhandel.html) ebenso wie der
aktuelle Regionalplan für den Regierungsbezirk Arnsberg (siehe auch: http://www.bezreg-arnsberg.nrw.de/themen/r/regionalplan/do_west/index.php
) entgegen.
Landesplanung
Nach Ziel 1 des sachlichen Teilplans „großflächiger Einzelhandel“ dürfen
Kerngebiete und Sondergebiete für Vorhaben im Sinne des § 11 Abs. 3 Baunutzungsverordnung
(BauNVO) nur in regionalplanerisch festgelegten allgemeinen Siedlungsbereichen
dargestellt und festgesetzt werden. Nach Ziel 2 dürfen derartige Kern- und
Sondergebiete mit zentrenrelevanten Sortimenten nur in bestehenden zentralen
Versorgungsbereichen sowie in neu geplanten zentralen Versorgungsbereichen
dargestellt und festgesetzt werden. Als zentrenrelevant gelten dabei die in der
Anlage 1 zum sachlichen Teilplan aufgeführten Sortimente sowie weitere von der
jeweiligen Gemeinde als zentrenrelevant festgelegte Sortimente. Ausnahmen von
diesem Ziel 2 sieht der sachliche Teilplan nur für Sondergebiete für
Einzelhandelsgroßvorhaben mit nahversorgungsrelevanten Sortimenten und in Ziel
5 für Sondergebiete für Einzelhandelsgroßvorhaben mit nicht zentrenrelevanten Sortimenten
vor.
Mit diesen landesplanerischen Zielvorgaben ist die Bauleitplanung der
Stadt Werl offensichtlich unvereinbar. Der Vorhabenstandort ist im Regionalplan
als Freiraum dargestellt. Es handelt sich auch offensichtlich nicht um einen
Standort innerhalb eines zentralen Versorgungsbereichs.
Dies hat die Stadt Werl auch selbst erkannt. Sie meint jedoch
ausweislich der Entwürfe der Planbegründungen, sich über die raumordnerische
Zielbindung hinwegsetzen zu können, weil sie der Auffassung ist, die
regionalplanerische Festlegung des Freiraums sei ebenso wie Ziel 2 des
sachlichen Teilplans offensichtlich
rechtswidrig. Hinsichtlich des Ziels 2 meint die Stadt Werl sogar, die
Verfassungswidrigkeit der Zielvorgabe feststellen zu können.
Es ist davon ausgehen, dass die Bezirksregierung Arnsberg (zuständig für
die Regionalplanung) ebenso wie die Staatskanzlei NRW (zuständig für die
Landesplanung bzw. den sachlichen Teilplan großflächiger Einzelhandel LEP NRW) diese
Einschätzung der Stadt Werl selbstverständlich nicht teilt. Hinsichtlich der
behaupteten Abwägungsfehlerhaftigkeit bezogen auf die Regionalplandarstellung
fehlt es hierzu im Übrigen auch an der notwendigen Kenntnis zu den Grundlagen
des Abwägungsvorgangs sowie des Abwägungsergebnisses.
Festzuhalten bleibt damit, dass die raumordnerischen Zielbestimmungen 1
und 2 des sachlichen Teilplans „großflächiger Einzelhandel“ zu LEP NRW der
Bauleitplanung der Stadt Werl entgegenstehen.
Regionalplanung
Zur Regionalplanung wurde bereits darauf hingewiesen, dass die
regionalplanerische Festlegung des Plangebietes als Freiraum der Ausweisung
eines Sondergebietes für großflächigen Einzelhandel offensichtlich
entgegensteht.
Rechtliche Konsequenzen
Wegen der entgegenstehenden landesplanerischen und regionalplanerischen
Ziele wird die Bezirksregierung Arnsberg im Verfahren nach § 34
Landesplanungsgesetz die Vereinbarkeit der Bauleitplanung der Stadt Werl mit
den geltenden Zielen der Raumordnung nicht feststellen können. Zudem wird die
nach § 6 BauGB erforderliche Genehmigung der Flächennutzungsplanänderung von
der Bezirksregierung nicht erteilt werden können. Letztlich liegen hier
natürlich auch die Voraussetzungen für eine raumordnerische Untersagung der
Bauleitplanung der Stadt Werl nach § 14 Abs. 1 ROG durch die zuständige
Raumordnungsbehörde vor.
Die Stadt Werl ist seit seiner Entstehung Mitgliedsgemeinde des
Regionalen Einzelhandelskonzeptes Östliches Ruhrgebiet und angrenzende
Bereiche. Ziel des regionalen Einzelhandelskonzeptes ist ein abgestimmtes
Vorgehen in der Region bei der Ansiedlung oder Erweiterung großflächiger Einzelhandelsbetriebe mit
regionaler Bedeutung. Alle Mitgliedsgemeinden gemeinsam streben die Stärkung
der innerstädtischen Zentren sowie die Stärkung der Stadtteilzentren mit ihrer
Grundversorgung an. Sie haben ein ergänzendes Versorgungsnetz von
Sondergebieten lediglich mit nicht zentrenrelevanten Angeboten auch an
ausgewählten Standorten außerhalb der Zentren anerkannt.
Mit dieser Zielsetzung hat auch die Stadt Werl die interkommunale
Vereinbarung zum regionalen Einzelhandelskonzept unterzeichnet. In der interkommunalen Vereinbarung haben
sich die Städte auch zu gegenseitiger und frühzeitiger Information über
Einzelhandelsvorhaben mit überörtlicher Bedeutung verpflichtet. Dieser
Verpflichtung ist die Stadt Werl bezogen auf das FOC-Projekt nur sehr
zögerlich, auf Aufforderung und auch nicht umfänglich nachgekommen. Die Stadt Werl
hat sich weiter verpflichtet,
großflächige Einzelhandelsvorhaben im Kreis betroffener Kommunen nachbarlich
mit dem Ziel zu erörtern, einen regionalen Konsens herzustellen. Die Stadt
Werl hat ihr Einverständnis erklärt, das REHK-Gutachten inhaltlich und verfahrensmäßig
zur Gesprächsgrundlage zu machen.
Die Stadt Werl nimmt einerseits in ihren Bauleitplanverfahren Bezug auf
das regionale Einzelhandelskonzept. Richtigerweise wird im ersten Absatz als
ein Ziel des REHK formuliert, „dass die Ansiedlung, Erweiterung oder
Verlagerung großflächiger Einzelhandelsbetriebe nach einheitlichen Kriterien
bewertet werden.“ Im nächsten Absatz wird dann allerdings andererseits argumentiert,
dass die von der Stadt in Auftrag gegebene Wirkungsanalyse „sehr viel genauer“
auf die Auswirkungen eingeht, „als es
die REHK-Kriterien vermögen“. Damit wird
ein zentraler Ansatz des REHK, nämlich die gemeinsam verabredeten
„Spielregeln“, unterlaufen. Diese Regeln zielen darauf ab, eine gemeinsame
regionale Interessenlage zu definieren, diese sowohl nach innen als auch nach
außen zu vertreten und diese Position ggf. auch gegenüber einzelgemeindlichen
Planungen, die nachbargemeindliche Interessen beeinträchtigen, deutlich zu
artikulieren.
Der interkommunalen Vereinbarung kommt primär eine Bedeutung für die
Steuerung der kommunalen Abwägungsentscheidung zu. In formeller Hinsicht ist
dies die Verpflichtung zu einer besonderen Ausgestaltung des interkommunalen
Abstimmungsprozesses zwischen den Mitgliedsgemeinden des regionalen
Einzelhandelskonzeptes. In materiell-rechtlicher Hinsicht ist die Stadt Werl
verpflichtet, das Ergebnis der nachbarlichen Erörterung mit besonderem Gewicht
in der eigenen Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen.
Die Stadt Werl verstößt in beiderlei Hinsicht gegen ihre Verpflichtungen
als Mitgliedskommune des regionalen Einzelhandelskonzeptes, wenn sie sich schon
in formeller Hinsicht dem Verfahren zur Herstellung eines regionalen Konsenses
mit der Argumentation entziehen will, dass ein positives Ergebnis der
nachbarlichen Erörterung nicht absehbar sei.
In einer Auswirkungsanalyse der Stadt Werl wird formuliert, dass die „Umsetzung
der Vorgaben des REHK auf der Basis
einer auf Freiwilligkeit basierenden interkommunalen Vereinbarung zwischen den
beteiligten Städten“ erfolge. Diese Freiwilligkeit bezieht sich nach
Auffassung der Beteiligten lediglich auf
die Unterzeichnung der Vereinbarung und damit die Mitgliedschaft im REHK. Mit
der Unterzeichnung der interkommunalen Vereinbarung hat die Stadt Werl aber,
wie alle anderen Kommunen auch, explizit die Verpflichtung übernommen, die im
regionalen Konsens getroffenen Vereinbarungen durch entsprechende
planungsrechtliche Maßnahmen einzuhalten und umzusetzen. Dass diese
Verpflichtung unter dem Vorbehalt der Unantastbarkeit der gemeindlichen
Letztentscheidung über die kommunale Bauleitplanung im Sinne des § 1 Abs. 3
Satz 2 BauGB steht, bedarf dabei keiner besonderen Betonung.
Die Stadt Werl hat für das Vorhaben kein Regionales Konsensverfahren
eingeleitet, wozu sie als Mitgliedskommune des REHK verpflichtet gewesen wäre.
Eine Bewertung des Vorhabens auf der Basis der vereinbarten Prüfkriterien für
regional bedeutsame Planvorhaben kommt zu folgendem Ergebnis:
Da das geplante FOC nahezu ausschließlich aus Einzelhandelsbetrieben mit
zentrenrelevanten Sortimenten besteht, ist es als Planvorhaben mit
zentrenrelevantem Sortimentsschwerpunkt zu betrachten. Die sortiments- und
betriebsformenspezifischen Prüfkriterien des REHK für derartige Planvorhaben lauten:
- Lage in einem
zentralen Versorgungsbereich
- Lage in einem
Allgemeinen Siedlungsbereich (ASB)
- Umsatz
(sortimentsspezifisch) des Vorhabens übersteigt nicht die lokale Kaufkraft
der planenden Gemeinde (ggf. auch Teilbereich)
Da das Vorhaben an einem Standort realisiert werden soll, der weder in
einem zentralen Versorgungsbereich noch in einem Allgemeinen Siedlungsbereich
liegt, würde das Vorhaben nach den Prüfkriterien des REHK keinen „Regionalen
Konsens“ erhalten können.
Aus der Verweigerung der Einhaltung der Regeln des regionalen Einzelhandelskonzeptes
folgt die Auffassung, die im Übrigen juristisch geprüft ist, die
Abwägungsfehlerhaftigkeit der Planung in formeller wie materiell-rechtlicher
Hinsicht.
Zusammenfassend hält die Stadt Kamen gemeinsam mit dem REHK das Projekt
FOC Werl für nicht genehmigungsfähig, da die landesplanerischen Ziele des LEP,
sachlicher Teilplan großflächiger Einzelhandel, dem entgegenstehen, ebenso wie
die Ziele des Regionalplans. Das Projekt ist zudem nach den Kriterien des REHK
nicht konsensfähig. Die Stadt Werl hat sich in ihrer Vorgehensweise und in
ihrer Argumentation gegen die interkommunal vereinbarten Regelungen
gestellt.