Herr Killewald referierte anhand einer Powerpointpräsentation, die der Sitzungsniederschrift als Anlage beigefügt ist. Einleitend erläuterte er die im SGB IX und in der UN-Konvention getroffe­nen Feststellungen, was unter einer Behinderung zu verstehen sei. Herr Killewald stellte fest, dass der Mensch durch seine Umwelt zu einem behinderten Menschen gemacht würde. Diese Erkenntnis müsse im politischen Denken verinnerlicht werden und sein.

In der UN-Behindertenrechtskonvention wurde festgelegt, dass alle Men­schen das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Le­ben haben. Sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Ausgestaltung unserer Gesellschaft bestehen jedoch immer noch erhebliche Voll­zugsdefi­zite.

Im Anschluss wandte sich Herr Killewald der Situation in Nordrhein-West­falen zu. Im Besonde­ren wies er darauf hin, dass NRW das einzige Bun­desland sei, in dem mittels einer Normprüfung alle Gesetze und Verord­nungen dahingehend begutachtet würden, inwieweit sie den Anforde­run­gen der Behindertenrechtskonvention gerecht werden. Nach Einschätzung des Hauptge­schäftsführers des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes befinde sich Nordrhein Westfalen auf dem Weg in eine inklusive Gesellschaft unter allen Bundesländern ganz vorn.

Weiterhin trug Herr Killewald vor, dass im Juli 2012 seitens der Landesre­gierung ein Aktions­plan aufgelegt wurde, in dem 100 Maßnahmen zur Her­beiführung der inklusiven Gesellschaft  festgelegt sind. Er wies ausdrücklich darauf hin, dass dieser allerdings keinen Gesetzescharak­ter genieße.

Frau Jung bat um Bekanntgabe einer Quelle, unter der der Aktionsplan einzusehen ist.

 

Protokollnotiz:  http://www.mais.nrw.de/08_PDF/003/121115_endfassung_nrw-inklusiv.pdf

 

Der o.g. Aktionsplan sehe unter anderem den Abschluss von Inklusionsver­einbarungen zwi­schen dem Land und den Behindertenverbänden vor. Die Beteiligung der Betroffenen solle durch einen ständigen Dialog sowie die Implementierung eines Behindertenbeirates sicherge­stellt werden. Dieser Beirat wird erstmalig im Dezember 2012 tagen und weiterhin in regelmäßi­gen Abständen zusammen treten. Die bereits erfolgte Normprüfung wird anhand eines Norm­prüfungsverfahrens weitergeführt.

Anhand einer weiteren Folie erläuterte Herr Killewald exemplarisch das Aktionsfeld „Bauliche Barrierefreiheit“. Hier seien in der Landesbauordnung bereits einige Regelungen getroffen, die zum Erreichen der inklusiven Ge­sellschaft beitragen können. Durch den § 3 der Landesbauord­nung habe die DIN 18040 (Barrierefreiheit) in NRW Verordnungscharakter und sei zwingend zu beachten. Es gebe jedoch nach wie vor Bauämter, die diese Regelung missachten würden. Auch in Bezug auf den Einbau von Aufzügen seien verbindliche Regelungen getroffen. Herr Killewald wies daraufhin, dass hiervon nicht nur Rollstuhlfahrer betroffen seien. In NRW gebe es 150.000 Säuglinge und 225.000 Kinder, die in Kinderwagen bzw. Buggies transportiert wür­den. In 4 Jahren würden sich ca. 350.000 Menschen mit Hilfe von Rollatoren fortbewegen. 745.000 Kinderfahrräder seien in Betrieb. 250.000 Menschen müssten sich im Rollstuhl fortbe­wegen. Vor diesem Hintergrund würde die Notwendigkeit derartiger Regelungen noch deutli­cher. Im Besonderen wies er auf die Implementierung einer Nachweis- bzw.  Prüfpflicht bei Geneh­migungsverfahren für öffentlich zugängliche bauliche Anlagen hin. Hierdurch würden zusätzliche Kosten entstehen. Da diese durch die Gesetzgebung des Landes „verursacht“ worden seien, wür­den die Kommunen die Kostenträgerschaft gerne beim Land angesiedelt sehen. Ein weiterer wichtiger Aspekt sei die zukünftige Beteiligung der Betroffe­nen/Verbände an derartigen Bauvor­haben. Deren knowhow sei unver­zichtbar. Durch die Einbindung könnten Pannen, wie z.B. bei der Errichtung des Düsseldorfer Justizgebäudes, vermieden werden.

Die politische Partizipation gestalte sich unter anderem deshalb schwierig, weil die o.g. UN-Kon­vention keine verbindlichen Detailregelungen trifft. Die kommunalen Spitzenverbände würden sich gegen weitergehende Regelun­gen sperren. Für sie stelle sich auch hier die Konnexitäts­frage.

Im Nachgang wandte sich Herr  Killewald den Auswirkungen auf das Schulsystem zu. Derzeit biete dieses 13 verschiedene Schulformen, wovon 8 Förderschulformen seien, die durch die Inklusion in den „regulären“ Schulformen möglichst aufgehen sollten. Er wies darauf hin, dass kein Land der Welt derart stark separiere. Trotz allem habe sich kein entsprechender Bildungs­erfolg eingestellt.

Die Anzahl der Schüler, bei denen ein sonderpädagogischer Förderbedarf vorliege, bezifferte er mit 116.000, von denen jedoch nur 97.000 eine För­derschule besuchen würden. Der Anteil an der Gesamtschülerzahl beläuft sich auf 6,5%. Anhand weiterer Schaubilder erläuterte Herr Killewald zum einen die Entwicklung des Anteils der Personen mit sonderpädagogischem För­derbedarf seit dem Schuljahr 2000/2001 sowie zum anderen die Ent­wicklung der Integrations­quote von Kindern mit Förderbedarf in die „her­kömmlichen“ Schulformen.

Im Anschluss stellte er ein von externen Gutachtern erstelltes Papier in Be­zug auf die Entwick­lung des Schulsektors vor dem Hintergrund der Inklu­sion vor. Diese prognostizierten die voll­ständige Auflösung der Förder­schulen mit den Schwerpunkten Emotional-sozial, Lernen und Sprache bei entsprechender Ressourcenverschiebung. Nach Meinung der Gutachter sei diese Personengruppe eigentlich gar nicht behindert. Weiterhin erwarten die Gutachter bis zum Schuljahr 2020/2021 die Inklusion von 85% der Schüler mit Förderbedarf. In absoluten Zahlen sind dies 97.000 Schüler. Ergänzend erwähnte Herr Killewald, das bis zum Jahre 2020 die Ge­samt­schülerzahl in Nordrhein-Westfalen um 18,5 % sinken werde, der Rückgang im Ruhrgebiet sei noch stärker.

Nach Auffassung von Herrn Killewald bietet u.a. dieses Gutachten ausrei­chend Möglichkeiten für eine vorausschauende Planung der Inklusion. Die Gegner dieses vorausschauenden Han­delns wollen zunächst gesetzliche Grundlagen abwarten, da sie die Planungssicherheit vernei­nen. Herr Killewald bezeichnete dies als nicht zutreffend. Die Gegenüberstellung der Tabelle mit den derzeit vorhandenen Förderschülern sowie deren Lehrern und jener mit den aufgrund des prozentualen Schülerrückgangs herunter­gebrochenen Werte lasse eindeutig den Schluss zu, dass die In­klusion mit den vorhandenen Ressourcen zu realisieren sei.

Weiterhin schilderte Herr Killewald  die in der näheren Vergangenheit in NRW bezüglich der inklusiven Bildung gefällten Entscheidungen. Beson­ders hob er die nach der Landtagswahl im Koalitionsvertrag festgelegte Entscheidung für den Weg in eine inklusive Schule hervor.

Zu dem seitens der Landesregierung vorgelegten Referentenentwurf teilte er mit, dass dieser im Wesentlichen eine Grundlage für die Diskussion mit den Kommunen darstelle.

Im Anschluss stellte Herr Killewald lt. eigener Terminologie Vermutungen zur Entwicklung der Teilbereiche der Förderschulen an. Anhand dieser Prognosen stellte er Tabellenmaterial vor, welches die Rückschlüsse zu­ließ, dass zum einen noch ca. 4.000-6.000 Schüler in Förder­schulen ver­bleiben und 10.000 Lehrer aus diesem System in den inklusiven Schulen tätig wer­den könnten.

Anschließend wendete sich Herr Killewald Zahlenmaterial aus o.g. Gut­achten zu, welches das Förderschulsystem im Kreis Unna beleuchtete. Quintessenz hieraus war, dass ein Großteil die­ser Schulen nicht überle­bensfähig sei. Er empfahl, frühzeitig Prozesse zur Zusammenlegung von Schulen einzuleiten.

Im Nachgang trug Herr Killewald anhand weiterer Folien die Eckpunkte des Entwurfs zum 9. Schuländerungsgesetzes vor. Im Besonderen wies er darauf hin, dass das Wahlrecht der Eltern bei der Schulwahl bestehen bleibe. Das Land werde hier Recht schaffen, welches die Kommu­nen um­zusetzen haben. Weiterhin solle die Ausbreitung der inklusiven Schulen sukzessive er­folgen.  

Abschließend schilderte Herr Killewald anhand eines weiteren Schaubildes den Zukunftsrah­men, vor dem Behindertenpolitik in NRW zu gestalten sei. Durch den Bevölkerungsrückgang und den damit verbundenen Rückgang  der Anzahl der erwerbstätigen Personen bei gleichzeiti­gem Ansteigen der Anzahl der behinderten Menschen sei es eigentlich unumgänglich, dass im Jahre 2030 jede 4. – 5. Person (z.Zt. jede 8.) auf dem Gesundheitssektor tätig werde. Er sah dies als illusorisch an. Dieser gewaltigen Umwälzung der Grundfaktoren müsse u.a. durch die Förderung des Ehrenamtes be­gegnet werden. Als geeignetes Mittel wertete er auch die Ableis­tung von Bürgerarbeit und die Selbsthilfestärkung. Nicht zuletzt sei es notwendig, dass Behin­derte mit ihrem Wissen vermehrt in der Politik und deren Gre­mien aktiv werden.

 

Frau Jung dankte Herrn Killewald für seinen Vortrag. Sie wies darauf hin, dass im hiesigen Be­hindertenbeirat zahlreiche Vereine und Verbände ihr Wissen einbringen würden. Man sei hier gut aufgestellt.

Herr Hunsdiek fragte nach, ob es in jedem Bundesland eine Landesbau­ordnung gebe.

Herr Killewald bestätigte dies; die der anderen Bundesländer seien jedoch weniger den Erfor­dernissen der Inklusion angepasst.

Herr Hunsdiek fragte nach, wieviele Lehrer der „regulären“ Schulen für die Förderung ausgebil­det sind.

Herr  Killewald erwiderte, dass 17.000 Lehrer im herkömmlichen Schul­system eine Förderpä­dagogikausbildung hätten.