Sitzung: 29.11.2012 Behindertenbeirat
Herr Killewald referierte anhand einer
Powerpointpräsentation, die der Sitzungsniederschrift als Anlage beigefügt ist.
Einleitend erläuterte er die im SGB IX und in der UN-Konvention getroffenen
Feststellungen, was unter einer Behinderung zu verstehen sei. Herr Killewald stellte fest, dass der Mensch durch seine Umwelt zu einem
behinderten Menschen gemacht würde. Diese Erkenntnis müsse im politischen
Denken verinnerlicht werden und sein.
In der
UN-Behindertenrechtskonvention wurde festgelegt, dass alle Menschen das Recht
auf gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben haben. Sowohl in
der Gesetzgebung als auch in der Ausgestaltung
unserer Gesellschaft bestehen jedoch immer noch erhebliche Vollzugsdefizite.
Im Anschluss wandte
sich Herr Killewald der Situation in
Nordrhein-Westfalen zu. Im Besonderen wies er darauf hin, dass NRW das
einzige Bundesland sei, in dem mittels einer Normprüfung alle Gesetze und
Verordnungen dahingehend begutachtet würden, inwieweit sie den Anforderungen
der Behindertenrechtskonvention gerecht werden. Nach Einschätzung des Hauptgeschäftsführers
des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes befinde sich Nordrhein Westfalen auf dem
Weg in eine inklusive Gesellschaft unter allen Bundesländern ganz vorn.
Weiterhin trug Herr
Killewald vor, dass im Juli 2012 seitens der Landesregierung ein Aktionsplan
aufgelegt wurde, in dem 100 Maßnahmen zur Herbeiführung der inklusiven
Gesellschaft festgelegt sind. Er wies
ausdrücklich darauf hin, dass dieser allerdings keinen Gesetzescharakter
genieße.
Frau Jung bat um Bekanntgabe einer Quelle,
unter der der Aktionsplan einzusehen ist.
Protokollnotiz: http://www.mais.nrw.de/08_PDF/003/121115_endfassung_nrw-inklusiv.pdf
Der o.g.
Aktionsplan sehe unter anderem den Abschluss von Inklusionsvereinbarungen zwischen
dem Land und den Behindertenverbänden vor. Die Beteiligung der Betroffenen
solle durch einen ständigen Dialog sowie die Implementierung eines Behindertenbeirates
sichergestellt werden. Dieser Beirat wird erstmalig im Dezember 2012 tagen und
weiterhin in regelmäßigen Abständen zusammen treten. Die bereits erfolgte
Normprüfung wird anhand eines Normprüfungsverfahrens weitergeführt.
Anhand einer weiteren
Folie erläuterte Herr Killewald exemplarisch
das Aktionsfeld „Bauliche Barrierefreiheit“. Hier seien in der Landesbauordnung
bereits einige Regelungen getroffen, die zum Erreichen der inklusiven Gesellschaft
beitragen können. Durch den § 3 der Landesbauordnung habe die DIN 18040
(Barrierefreiheit) in NRW Verordnungscharakter und sei zwingend zu beachten. Es
gebe jedoch nach wie vor Bauämter, die diese Regelung missachten würden. Auch
in Bezug auf den Einbau von Aufzügen seien verbindliche Regelungen getroffen.
Herr Killewald wies daraufhin, dass
hiervon nicht nur Rollstuhlfahrer betroffen seien. In NRW gebe es 150.000
Säuglinge und 225.000 Kinder, die in Kinderwagen bzw. Buggies transportiert würden.
In 4 Jahren würden sich ca. 350.000 Menschen mit Hilfe von Rollatoren
fortbewegen. 745.000 Kinderfahrräder seien in Betrieb. 250.000 Menschen müssten
sich im Rollstuhl fortbewegen. Vor diesem Hintergrund würde die Notwendigkeit
derartiger Regelungen noch deutlicher. Im Besonderen wies er auf die
Implementierung einer Nachweis- bzw.
Prüfpflicht bei Genehmigungsverfahren für öffentlich zugängliche
bauliche Anlagen hin. Hierdurch würden zusätzliche Kosten entstehen. Da diese
durch die Gesetzgebung des Landes „verursacht“ worden seien, würden die
Kommunen die Kostenträgerschaft gerne beim Land angesiedelt sehen. Ein weiterer
wichtiger Aspekt sei die zukünftige Beteiligung der Betroffenen/Verbände an
derartigen Bauvorhaben. Deren knowhow sei unverzichtbar. Durch die Einbindung
könnten Pannen, wie z.B. bei der Errichtung des Düsseldorfer Justizgebäudes,
vermieden werden.
Die politische
Partizipation gestalte sich unter anderem deshalb schwierig, weil die o.g.
UN-Konvention keine verbindlichen Detailregelungen trifft. Die kommunalen
Spitzenverbände würden sich gegen weitergehende Regelungen sperren. Für sie
stelle sich auch hier die Konnexitätsfrage.
Im Nachgang wandte
sich Herr Killewald den Auswirkungen auf das Schulsystem
zu. Derzeit biete dieses 13 verschiedene Schulformen, wovon 8 Förderschulformen
seien, die durch die Inklusion in den „regulären“ Schulformen möglichst
aufgehen sollten. Er wies darauf hin, dass kein Land der Welt derart stark
separiere. Trotz allem habe sich kein entsprechender Bildungserfolg
eingestellt.
Die Anzahl der
Schüler, bei denen ein sonderpädagogischer Förderbedarf vorliege, bezifferte er
mit 116.000, von denen jedoch nur 97.000 eine Förderschule besuchen würden.
Der Anteil an der Gesamtschülerzahl beläuft sich auf 6,5%. Anhand weiterer
Schaubilder erläuterte Herr Killewald zum einen die Entwicklung des Anteils der
Personen mit sonderpädagogischem Förderbedarf seit dem Schuljahr 2000/2001
sowie zum anderen die Entwicklung der Integrationsquote von Kindern mit
Förderbedarf in die „herkömmlichen“ Schulformen.
Im Anschluss
stellte er ein von externen Gutachtern erstelltes Papier in Bezug auf die
Entwicklung des Schulsektors vor dem Hintergrund der Inklusion vor. Diese
prognostizierten die vollständige Auflösung der Förderschulen mit den
Schwerpunkten Emotional-sozial, Lernen und Sprache bei entsprechender
Ressourcenverschiebung. Nach Meinung der Gutachter sei diese Personengruppe
eigentlich gar nicht behindert. Weiterhin erwarten die Gutachter bis zum
Schuljahr 2020/2021 die Inklusion von 85% der Schüler mit Förderbedarf. In
absoluten Zahlen sind dies 97.000 Schüler. Ergänzend erwähnte Herr Killewald, das bis zum Jahre 2020 die
Gesamtschülerzahl in Nordrhein-Westfalen um 18,5 % sinken werde, der Rückgang
im Ruhrgebiet sei noch stärker.
Nach Auffassung von
Herrn Killewald bietet u.a. dieses Gutachten ausreichend Möglichkeiten für
eine vorausschauende Planung der Inklusion. Die Gegner dieses vorausschauenden
Handelns wollen zunächst gesetzliche Grundlagen abwarten, da sie die
Planungssicherheit verneinen. Herr Killewald bezeichnete dies als nicht
zutreffend. Die Gegenüberstellung der Tabelle mit den derzeit vorhandenen
Förderschülern sowie deren Lehrern und jener mit den aufgrund des prozentualen
Schülerrückgangs heruntergebrochenen Werte lasse eindeutig den Schluss zu,
dass die Inklusion mit den vorhandenen Ressourcen zu realisieren sei.
Weiterhin
schilderte Herr Killewald die in der näheren Vergangenheit in NRW
bezüglich der inklusiven Bildung gefällten Entscheidungen. Besonders hob er
die nach der Landtagswahl im Koalitionsvertrag festgelegte Entscheidung für den
Weg in eine inklusive Schule hervor.
Zu dem seitens der
Landesregierung vorgelegten Referentenentwurf teilte er mit, dass dieser im
Wesentlichen eine Grundlage für die Diskussion mit den Kommunen darstelle.
Im Anschluss
stellte Herr Killewald lt. eigener
Terminologie Vermutungen zur Entwicklung der Teilbereiche der Förderschulen an.
Anhand dieser Prognosen stellte er Tabellenmaterial vor, welches die
Rückschlüsse zuließ, dass zum einen noch ca. 4.000-6.000 Schüler in Förderschulen
verbleiben und 10.000 Lehrer aus diesem System in den inklusiven Schulen tätig
werden könnten.
Anschließend
wendete sich Herr Killewald
Zahlenmaterial aus o.g. Gutachten zu, welches das Förderschulsystem im Kreis
Unna beleuchtete. Quintessenz hieraus war, dass ein Großteil dieser Schulen
nicht überlebensfähig sei. Er empfahl, frühzeitig Prozesse zur Zusammenlegung
von Schulen einzuleiten.
Im Nachgang trug
Herr Killewald anhand weiterer Folien
die Eckpunkte des Entwurfs zum 9. Schuländerungsgesetzes vor. Im Besonderen
wies er darauf hin, dass das Wahlrecht der Eltern bei der Schulwahl bestehen
bleibe. Das Land werde hier Recht schaffen, welches die Kommunen umzusetzen
haben. Weiterhin solle die Ausbreitung der inklusiven Schulen sukzessive erfolgen.
Abschließend
schilderte Herr Killewald anhand
eines weiteren Schaubildes den Zukunftsrahmen, vor dem Behindertenpolitik in
NRW zu gestalten sei. Durch den Bevölkerungsrückgang und den damit verbundenen
Rückgang der Anzahl der erwerbstätigen
Personen bei gleichzeitigem Ansteigen der Anzahl der behinderten Menschen sei
es eigentlich unumgänglich, dass im Jahre 2030 jede 4. – 5. Person (z.Zt. jede
8.) auf dem Gesundheitssektor tätig werde. Er sah dies als illusorisch an.
Dieser gewaltigen Umwälzung der Grundfaktoren müsse u.a. durch die Förderung
des Ehrenamtes begegnet werden. Als geeignetes Mittel wertete er auch die
Ableistung von Bürgerarbeit und die Selbsthilfestärkung. Nicht zuletzt sei es
notwendig, dass Behinderte mit ihrem Wissen vermehrt in der Politik und deren
Gremien aktiv werden.
Frau Jung dankte Herrn Killewald für seinen
Vortrag. Sie wies darauf hin, dass im hiesigen Behindertenbeirat zahlreiche
Vereine und Verbände ihr Wissen einbringen würden. Man sei hier gut
aufgestellt.
Herr Hunsdiek fragte nach, ob es in jedem
Bundesland eine Landesbauordnung gebe.
Herr Killewald
bestätigte dies; die der anderen Bundesländer seien jedoch weniger den Erfordernissen
der Inklusion angepasst.
Herr Hunsdiek fragte nach, wieviele Lehrer
der „regulären“ Schulen für die Förderung ausgebildet sind.
Herr Killewald erwiderte, dass 17.000 Lehrer im
herkömmlichen Schulsystem eine Förderpädagogikausbildung hätten.