Sitzung: 12.12.2023 Wirtschaftsausschuss
Herr Stein sprach über die Lage des
Handwerks in Kamen. Er führte aus, dies sei ein rein subjektiver Blick und habe
keinen Anspruch auf wissenschaftliche Exaktheit. Sein Vortrag war in 3 Bereiche
aufgeteilt a) Allgemeiner Überblick b) Probleme der Handwerksbetriebe und c)
Ausbildungssituation.
Herr Stein
berichtete, dass die Mitgliedschaft in der jeweiligen Handwerksinnung für die
Handwerker freiwillig sei. Die unter dem Dach der Kreishandwerkerschaft
versammelten Innungen vertreten die Interessen der Innungsmitglieder.
Frau Anke Werthmann und Herr Sklorz nahmen
ab 18.10 Uhr an der Sitzung teil.
Im Bäckerhandwerk
gab es früher 4 selbst produzierende Unternehmen in Kamen, heute sei es nur
noch die Bäckerei Sadlowski. In Deutschland reduzierten sich die produzierenden
Betriebe von 2015 mit 12.155 Betriebe auf 9.600 im Jahr 2022. Die Anzahl der
Beschäftigten sei von 275.000 auf 238.000 im gleichen Zeitraum zurückgegangen.
Es sei ein wichtiges Handwerk, welches zwar Rückgänge verzeichne, doch nicht
aussterben werde. Die Ausbildungszahlen seien zwar von 18.800 auf 10.800 zurückgegangen,
dies sei aber ein branchenübergreifendes Problem. Im Bäckerhandwerk sei
besonders die Energiekrise zu Beginn des Ukraine-Krieges sehr problematisch
gewesen.
Im
Fleischerhandwerk seien nur noch 2 handwerklich geprägte Betriebe (Flechsig und
Demarczyk) in Kamen. Bundesweit sei die Anzahl der Betriebe in den letzten 10
Jahren von 14.300 auf 10.300 abgesunken. Die Mitarbeiterzahl sei nicht so stark
gesunken (2012: 146.000 auf 2022: 138.000). Die Beschäftigten arbeiten für
weniger aber expandierende Betriebe.
Im Hochbau spiegele
sich eine ähnliche Struktur ab. In Kamen existieren aktuell 12 Betriebe. Der
Bausektor habe sich zur Corona-Phase gut aufgestellt. Tiefstand war 2008 mit
705.000 Mitarbeitern und bis 2022 seien die Beschäftigten auf 927.000 wieder
angestiegen. Besonders die Vielzahl der Baugenehmigungen habe zu dieser
Konjunktur beigetragen. Der Bereich habe aber aktuell durch die gestiegenen
Materialkosten und die gestiegenen Zinsen auf der Bauherrenseite erhebliche
Probleme.
Herr Stein führte
aus, dass aktuell auch Deponieflächen fehlen, um Stoffe, die beim Abriss
anfallen, zu lagern und die geplante Rohstoff-Abgabe auf Kies und Sand erhöhe
die Kosten weiter. Die Anzahl der Baugenehmigungen sei stark gesunken, vom
Höchstwert von monatlich 41.800 in 2019 auf monatlich 19.300 im August 2023.
Der Installateur-
und Heizungsbau laufe aktuell gut und es gebe in Kamen 26 Betriebe. Wie das
Elektrohandwerk stehe dieser Wirtschaftszweig stark im Wandel. Im Jahr 2022 gab
es große Lieferprobleme für Wärmepumpen, in diesem Jahr habe es sich wieder
entspannt. Problematisch sei hier eine Gesetzesänderung ab 01.01.2024, wonach
der Handwerker verpflichtet sei, die Kunden zu beraten, dass die Aufstellung einer
Heizung, die mit festen und flüssigen oder gasförmigen Brennstoffen betrieben
werde, möglicherweise teurer werde, infolge einer anstehenden CO2-Bepreisung.
Weiterhin müsse er darauf hinweisen, dass es aus wirtschaftlichen Aspekten sein
könne, im Rahmen der Wärmeplanung der Kommunen, es zu einem Anschlusszwang an
ein Fernwärmenetz kommen könne. Für den Handwerker sei diese Vorgabe im
Kundenkontakt herausfordernd. Grundsätzlich sei für dieses Handwerk, genauso
wie für das Elektrohandwerk, der Blick in die Zukunft zuversichtlich.
Aktuell seien 25
Betriebe im Elektrohandwerk tätig. Die Materialsituation habe sich verbessert,
so hätten z. B. PV-Anlagen wieder kürzere Lieferzeiten.
Im Friseurhandwerk
gebe es momentan 40 Betriebe in Kamen. Besonders die Friseure hätten unter den
Lockdowns gelitten und, obwohl die Corona-Hilfen schnell bewilligt und
ausgezahlt wurden, müssten diese jetzt zurückgezahlt werden. Des Weiteren gebe
es einen harten Konkurrenzkampf mit den Barber-Shop´s, die nicht alle in der
Handwerksrolle eingetragen seien und damit keinen Meisterbrief vorweisen
können. Dies sei ein ungleicher Wettbewerb, welcher die Friseurbetriebe stark
belaste.
Herr Stein führte
aus, dass es in Kamen 18 Maler- und Lackier-Betriebe gebe, 9 Tischler, 18
Metallbau-Betriebe sowie 3 Feinwerkmechaniker-Betriebe im Metallbau. Dies sind
Handwerksbetriebe, die ihren Beitrag zur Energiewende leisten und gut
aufgestellt seien.
Herr Stein ging
danach auf die Probleme im Handwerk ein. Ein Problem, das fast alle Branchen betreffe,
sei der Fachkräftemangel. Besonders die Unternehmensnachfolge sei schwierig, da
es oft nicht einfach sei, den Betrieb innerhalb der Familie oder an einen
langjährigen Mitarbeiter weiterzugeben. Auch gebe es Probleme des
Bürokratieaufwandes. Eine Umfrage des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks
zum Bürokratieaufwand im Handwerk habe ergeben, dass 74 % der Befragten angaben
der Bürokratie- und Dokumentationsaufwand in den letzten 5 Jahren sei
angestiegen, insbesondere die Anpassungen an immer neue Regelungen sei für 76 %
der Handwerksbetriebe eine große Belastung. Hinzukomme der Aufwand zur
Erfüllung für Nachweise und Dokumentation von gesetzlichen Regelungen. Der
Präsident der Handwerkskammer Dortmund schätze, dass mindestens 5 Stunden pro
Woche für Büroarbeit eingerechnet werden müssen. 58 % der Betriebe gaben an,
dass sie die Selbständigkeit aufgrund der Bürokratisierung für zunehmend
unattraktiver halten. Dies sei auch im Hinblick auf die Unternehmensnachfolge
schwierig.
Herr Stein brachte
als Negativbeispiel die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ins
Gespräch. Früher musste der Arbeitnehmer die AU beim Arbeitgeber einreichen,
heute müsse der Arbeitgeber sich darum kümmern. Doch dieses System funktioniere
aktuell sehr unzuverlässig. Oft seien die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
nicht sichtbar oder nicht eingestellt und somit schlecht zu handhaben,
besonders weil hier die Lohnfortzahlungspflicht eine Rolle spiele.
Weiterhin seien der
Datenschutz, die Gewerbe-Abfallverordnung, Fahrtenschreiberpflicht,
statistische Meldungen an das statistische Bundesamt,
Lebensmittelinformationsverordnung und Unterweisung der Mitarbeiter auf
Arbeitsschutz zu nennen, die alle für sich genommen sehr wichtig seien, aber
die Summe der verschiedenen gesetzlichen Auflagen erhöhe den Bürokratieaufwand
jedes einzelnen Unternehmers.
Zum Schluss des
Vortrags ging Herr Stein auf die Ausbildungssituation des Handwerks ein. Er
erklärte, dass in der Regel 1000 Ausbildungsverträge pro Jahr über alle
Ausbildungsjahre im Handwerk im Kreis Unna existieren, in 2023 gebe es
insgesamt 1066 Verträge, dies mache ein Zuwachs von ca. 9,6 % aus. Im Kreis
Unna seien 342 neue Verträge für das 1. Ausbildungsjahr geschlossen worden.
Erfreulich sei,
dass dieses Jahr auch Zuwächse bei Betrieben zu verzeichnen seien, in denen es
für gewöhnlich große Probleme gebe, wie z. B. im Bäckerhandwerk, mit 7 neuen
Auszubildenden (2022: 2 neue Auszubildende) und bei Fleischern seien 4 neue
Auszubildende eingestellt worden.
Bei KfZ-Mechatronikern
seien 59 neue Ausbildungsverträge geschlossen worden, dieser Bereich sei immer
gut nachgefragt, so auch im Jahr 2023.
Herr Stein trug ein
Anliegen eines Handwerkers vor, dass es in Kamen umständlich sei, eine
Genehmigung für das Aufstellen von Gerüsten zu bekommen und der
Handwerkerparkausweis fahrzeugbezogen sei.
Ergänzung: Der Handwerkerparkausweis ist
übertragbar auf maximal fünf Fahrzeuge, gilt aber jeweils nur für das genutzte
Fahrzeug, in dem Originalausweis im Sichtbereich der Frontscheibe ausgelegt
ist.
Herr Fuhrmann bedankte sich für den Einblick
in das Handwerk und fragte Herrn Stein, ob es Kamener Betriebe gebe, die in
naher Zukunft geschlossen werden, weil sich keine Nachfolge abzeichne.
Weiterhin fragte Herr Fuhrmann, welche Methoden die Kamener Betriebe hätten, um
bei Jugendlichen für ihre Berufsbilder zu werben, vor dem Hintergrund der
Work-Life-Balance.
Herr Stein antwortete, dass sich die
Kreishandwerkerschaft als Servicepartner der Betriebe verstehe. So gebe es 2
Ausbildungs-Coaches, die auf Messen zeitweise von den Handwerkern begleitet
werden. Im letzten Jahr gab es erneut eine große Kampagne „Aktion Traumberufe“,
welche sehr gut angekommen sei. Es werde nicht nur über die Print-Medien
geworben, sondern ebenfalls in den sozialen Netzwerken. Die Betriebe würden
sensibilisiert, dass sie die künftigen Auszubildenden nicht nur die unbeliebten
Aufgaben ableisten lassen sollen, sondern ermöglichen über Praktika
vollumfänglich den Job kennenzulernen. Zu den voraussichtlichen Schließungen
habe er keine Zahlen.
Herr Heidler regte an, dass Handwerker mehr
Praktikanten die Chance geben sollten, die später dann eventuell eine
Ausbildung beginnen könnten. Er erkundigte sich noch einmal explizit danach, ob
es im Rahmen der Unternehmensnachfolge nicht sinnvoll wäre, die
Abiturienten/innen stärker in den Fokus zu nehmen, da diese oft über multiple
Fähigkeiten verfügen, um ein solches Unternehmen zu übernehmen und zu führen.
Herr Stein informierte, dass er diese
Berührungsängste des Handwerks mit den Abiturienten/Innen nicht sehe.
Abiturienten/Innen, die in einem Studium keine Erfüllung finden und abbrechen,
absolvierten oft hervorragend eine Ausbildung und machten oft ihren Meister
hinterher. Er sehe das Fremdeln der Abiturienten/Innen mit dem Handwerk eher
darin, dass die Schüler/Innen, die Abitur machen, dann lieber studieren.
Herr Madeja fragte nach, ob die hohe Anzahl
an Azubis ein Nachholeffekt von Corona sei und wie es mit der Bezahlung während
der Ausbildung aussehe.
Herr Stein antwortete, dass es schwierig sei
diese Frage zu beantworten, da die Ausbildungszahlen immer einer gewissen
Schwankung unterliegen. Während Corona wäre aber ein Einbruch zu verzeichnen
gewesen, besonders da keine Praktika möglich waren. Bei der Vergütung sei es
unterschiedlich. Es gebe Branchen, die im Laufe der Ausbildung eine
Ausbildungsvergütung von mehr als 1.000,- € brutto/monatlich zahlen.
Herr Nickel erkundigte sich, ob die
Kreishandwerkerschaft den Schulterschluss mit Jobcenter und Integration Point
suche, um das ganze Potential auszuschöpfen.
Herr Stein bejahte es. Mit der Agentur für
Arbeit und Jobcenter bestehe ein reger Austausch. Vor ca. 3 Jahren sei eine
Bustour mit jungen Menschen mit Migrationshintergrund durch 5 Betriebe im Kreis
Unna unternommen worden. Sie seien immer offen für Ideen, wenn es für die
Betriebe ein Mehrwert sei.
Herr Wünnemann erinnerte sich daran, dass es
eine Zeit gab, in der besonders im Sanitär- und Heizungsbereich dringend
erfahrenes Personal gesucht wurde und die Bewerber Forderungen gestellt haben,
die nur schwer zu erfüllen waren und auch der angebotene Verdienst zu gering
war. Er wollte wissen, ob solche Klagen noch immer kommen.
Es kämen immer noch
Klagen insoweit, führte Herr Stein
aus, dass gerade im Sanitär- und Heizungsbereich die Unternehmer sagen, dass
frisch ausgebildete Facharbeiter erst einige Jahre Arbeitserfahrung sammeln
müssten, um dann wirklich selbständig eine Reparatur beim Kunden durchführen zu
können. Wenn sie dann fit seien, dann komme die Industrie mit Gehaltsangeboten,
die der kleine Unternehmer so nicht an die Kunden weitergeben könne und den gut
ausgebildeten jungen Menschen ziehen lassen müsse.
Frau Gerdes erkundigte sich nach der
wirtschaftlichen Lage der Betriebe für 2024.
Dies sei sehr
branchenabhängig so Herr Stein, z.
B. Firmen die Wärmepumpen einbauen werden bestimmt wieder einen Aufschwung
erfahren, während bei den Malern und Lackierern ein Aufschwung während Corona
zu verzeichnen war, der jetzt wieder abflaue. Eine genaue Prognose könne er
nicht abgeben.
Herr Sklorz fragte nach, ob er der Aussage
einer Arbeitspsychologin zustimmen könne, dass die heutige Jugend die
strukturell illoyalste Generation sei, die es je gab.
Herr Stein verneinte dies. Dass junge
Menschen den Job wechseln, wenn Großunternehmen für einen einfacheren Job mehr
Gehalt bieten, sei letztlich nachvollziehbar.
Frau Wennekers-Stute wollte wissen, was
Handwerker überhaupt verdienen.
Dies hänge von der
Branche ab, führte Herr Stein aus.
Als Anfänger verdiene man je nach Branche zwischen ca. 2.500 – 3.000 Euro
brutto/monatlich bei einer 40-Stunden-Woche.
Herr Madeja gab zu bedenken, dass ein
Abiturient oft in der Schule nicht in Berührung mit Handwerksbetrieben komme.
Dies befinde sich
aktuell im Wandel durch das duale Studium, antwortete Herr Stein. Die Lage verbessere sich gerade dadurch.
Herr Madeja wollte wissen, ob sich etwas im
Umgang mit den Praktikanten und Auszubildenden geändert habe oder ob immer noch
nach dem Motto „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ gehandelt werde. Und
erkundigte sich danach, wieso Unternehmen junge Menschen direkt nach der Ausbildung
abwerben.
Herr Stein erklärte, dass dies stark abhänge
von der Unternehmensphilosophie und von den Erwartungen des Praktikanten bzw.
Auszubildenden. Mangelnde Leistungsbereitschaft gingen oft auch von
Auszubildenden aus, da hier durch die Veränderung von Lebensumständen manchmal
die Ausbildung abgebrochen werde. In Bezug auf das Abwerben erklärte er, dass
nicht alle Betriebe ausbilden, da dies viel Zeit, Arbeit und auch Geld koste.
So gebe es Unternehmen die nicht ausbilden und dann Auszubildende nach Abschluss
abwerben.
Auf Anfrage von
Frau Maeder führte Herr Stein aus, dass die Berufsbilder nicht
verloren gehen würden, da zwar die Anzahl der Unternehmen rückläufig sei, aber
trotzdem weiterhin ausgebildet werde. Die Kreishandwerkerschaft sei immer aktiv,
wenn es darum gehe die Ausbildung zu präsentieren. So stehe sie z. B.
regelmäßig auf Messen, sei auf vielen Veranstaltungen und versuche Unternehmer
und junge Menschen zusammenzubringen.
Herr Fuhrmann fragte an, ob die Politik zu
den Freisprechungen der Auszubildenden komme.
Dies konnte Herr Stein bestätigen.
Herr Eisenhardt bedankte sich bei Herrn
Stein im Namen aller für den Vortrag und die Beantwortung der Fragen.