Sitzung: 08.03.2023 Jugendhilfeausschuss
Frau Börner referierte zur Umsetzung der im
Jahr 2021 verabschiedeten Reform des SGB VIII – Kinder- und
Jugendstärkungsgesetz (KJSG). Anhand der in der Anlage zu dieser Niederschrift
beigefügten Powerpoint-Präsentation erläuterte sie Eckdaten des KJSG sowie die
Kernbereiche der Reform. Der inhaltliche Schwerpunkt des Vortrags wurde
schließlich auf das Thema „Inklusive Jugendhilfe“ gelegt. Dabei gehe es dem
Gesetz nach um die Entwicklung von Hilfen aus einer Hand für Kinder und
Jugendliche mit und ohne Behinderungen, d.h. die Zusammenführung von Leistungen
der Kinder- und Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe unter dem Dach der
Kinder- und Jugendhilfe. Im Folgenden erläuterte Frau Börner mittels der
genannten Präsentation Leitgedanken, Ziele und Umsetzungsschritte der
Inklusiven Jugendhilfe. Frau Börner skizzierte
weiterhin Schnittpunkte zu verschiedenen Arbeitsfeldern, die Rolle des
örtlichen Jugendamtes und schließlich die nächsten Umsetzungsschritte in der
Stadt Kamen.
Frau Kappen ergänzte, dass die Zusammenführung
von Leistungen für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung auch deshalb
mit besonderen Herausforderungen verbunden seien, weil neben verschiedenen
Rechtskreisen (u.a. SGB VIII, SGB IX, SGB XII) auch unterschiedliche Beratungs-
und Trägerstrukturen (z.B. Jugendamt, Sozialamt, Rentenversicherungsträger,
Rehabilitationsträger, Krankenkassen, Landschaftsverband Westfalen-Lippe) zu
verzahnen seien. Sie unterstrich die besonderen Herausforderungen in der
Umsetzung der Inklusiven Jugendhilfe und zog dazu Querverbindungen zu den
Erfahrungen im Bereich der schulischen Inklusion nach. Sie betonte, dass die
Zusammenführung von Leistungen der richtige Weg sei, um Kindern und
Jugendlichen zu ihrem Recht auf Teilhabe zu verhelfen, dass jedoch das Recht
der Kinder auf Förderung ebenso hoch gewichtet sein müsse. Dies erfordere das
Vorhandensein entsprechender Umsetzungsvoraussetzungen.
Frau Klein-Vehne wies in diesem Zusammenhang
auch auf die besonderen fachlichen Herausforderungen für die Fachkräfte des
Jugendamtes hin, die künftig Expertise zu mehreren Rechtskreisen aufweisen
müssten. Zu berücksichtigen sei zudem, dass die mit der Inklusiven Jugendhilfe
höheren Fallzahlen auch mit entsprechenden Personalstrukturen sowohl auf Seiten
der Sozialen Dienste als auch auf Seiten der Wirtschaftlichen Jugendhilfe zu
hinterlegen seien.
Frau Börner betonte bezüglich der
Umsetzungsperspektiven, dass zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht absehbar sei,
wie die gesetzlichen Rahmenbedingungen des geplanten Bundesgesetzes zur
Umsetzung der Inklusiven Jugendhilfe ausgestaltet sein werden, wann diese
vorliegen würden und letztlich noch nicht einmal, ob die Umsetzung wie derzeit
vorgesehen auch tatsächlich stattfinden werde. Dennoch könne die Kinder- und
Jugendhilfe aufgrund des hohen Komplexitätsgrades der Reform nicht bis zur
Verabschiedung des Bundesgesetzes warten und müsse bereits jetzt unter unklaren
Bedingungen die Umsetzung der Inklusiven Jugendhilfe vorbereiten.
Frau Kappen stellte exemplarisch dar, dass
allein das Profil des nach § 10b SGB VIII zum 01.01.2024 einzusetzenden
Verfahrenslotsen bislang weder im Hinblick auf die formale Qualifikation noch
hinsichtlich der benötigten Kompetenzen klar konturiert sei. Die durch das
Gesetz bundesweit entstehenden Personalbedarfe seien gigantisch, und dies
angesichts des allgegenwärtigen enormen Fachkräftemangels.
Herr Brandhorst fragte, auf welche
Unterstützungsstrukturen und Erfahrungswerte Kommunen bei der Umsetzung des
Gesetzes zurückgreifen können.
Frau Kappen antwortete, dass es einerseits
Modellkommunen gebe, an denen man sich orientieren können und dass gleichzeitig
alle Kommunen aufgrund der unterschiedlichen Strukturen und mangelnder
formeller Vorgaben an eigenen Umsetzungswegen arbeiteten. Im Kreis Unna und
auch darüber hinaus werde es zudem einen interkommunalen Austausch geben.
Frau Klanke bedankte sich für den
umfassenden Vortrag und formulierte großen Respekt vor den zu bewältigenden
Aufgaben und Herausforderungen. Sie äußerte die Hoffnung, dass die benötigten
Ausführungsvorschriften die Kommunen rechtzeitig erreichen. Perspektivisch
ließen die dargestellten Entwicklungen ein großes personelles Wachstum des
Jugendamtes erwarten. Sie äußerte den Wunsch, dass die Verwaltung den
Jugendhilfeausschuss auch künftig über die Entwicklungen in diesem Bereich auf
dem Laufenden halte.
Herr Grosch stellte die Frage, was die auf
einer theoretischen Ebene dargestellten Entwicklungsbedarfe praktisch für das
einzelne Kind/den einzelnen Jugendlichen bedeute, wie die Förderung erfolgen
werde. Er bat um ein konkretes Beispiel dazu, was sich bereits geändert habe
und äußerte für zukünftige Vorträge den Wunsch, diese durch praktische
Beispiele zu ergänzen.
Frau Kappen skizzierte das Beispiel eines
Kindes, das aufgrund einer Behinderung Bedarf an Unterstützung aus
unterschiedlichen Rechtskreisen und Arbeitsfeldern habe. Beispielhaft benannte
Sie Krankenkassen, Rehabilitationsträger, Logopäden, inklusive
Kindertagesbetreuung. In der Inklusiven Jugendhilfe sei es dann so vorgesehen,
dass die Familie des Kindes sich mit all den Themen an nur eine Mitarbeiterin
des Jugendamtes wenden könne, die sie zu den verschiedenen Leistungsträgern
lotse, zu Leistungen berate und auch bei Antragstellungen und ggf. Konflikten
unterstütze. Familien sollen künftig bei allen Fragen zu Kindern und
Jugendlichen lediglich eine Anlaufstelle im Jugendamt aufsuchen müssen,
unabhängig davon, welchem Rechtskreis die benötigten Leistungen zuzuordnen
seien. Eine spannende Frage sei dabei, wie einerseits der Bedarf an
individueller Beratung und Begleitung und anderseits die zunehmende
Digitalisierung und Zentralisierung von Leistungen außerhalb der Jugendhilfe –
z.B. Krankenkassen mit Callcentern irgendwo in Deutschland ohne feste
Ansprechpartner für einzelne Fälle – zusammenzubringen seien.