Frau Börner referierte zur Umsetzung der im Jahr 2021 verabschiedeten Reform des SGB VIII – Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG). Anhand der in der Anlage zu dieser Niederschrift beigefügten Powerpoint-Präsentation erläuterte sie Eckdaten des KJSG sowie die Kernbereiche der Reform. Der inhaltliche Schwerpunkt des Vortrags wurde schließlich auf das Thema „Inklusive Jugendhilfe“ gelegt. Dabei gehe es dem Gesetz nach um die Entwicklung von Hilfen aus einer Hand für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen, d.h. die Zusammenführung von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe. Im Folgenden erläuterte Frau Börner mittels der genannten Präsentation Leitgedanken, Ziele und Umsetzungsschritte der Inklusiven Jugendhilfe. Frau Börner skizzierte weiterhin Schnittpunkte zu verschiedenen Arbeitsfeldern, die Rolle des örtlichen Jugendamtes und schließlich die nächsten Umsetzungsschritte in der Stadt Kamen.

Frau Kappen ergänzte, dass die Zusammenführung von Leistungen für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung auch deshalb mit besonderen Herausforderungen verbunden seien, weil neben verschiedenen Rechtskreisen (u.a. SGB VIII, SGB IX, SGB XII) auch unterschiedliche Beratungs- und Trägerstrukturen (z.B. Jugendamt, Sozialamt, Rentenversicherungsträger, Rehabilitationsträger, Krankenkassen, Landschaftsverband Westfalen-Lippe) zu verzahnen seien. Sie unterstrich die besonderen Herausforderungen in der Umsetzung der Inklusiven Jugendhilfe und zog dazu Querverbindungen zu den Erfahrungen im Bereich der schulischen Inklusion nach. Sie betonte, dass die Zusammenführung von Leistungen der richtige Weg sei, um Kindern und Jugendlichen zu ihrem Recht auf Teilhabe zu verhelfen, dass jedoch das Recht der Kinder auf Förderung ebenso hoch gewichtet sein müsse. Dies erfordere das Vorhandensein entsprechender Umsetzungsvoraussetzungen.

 

Frau Klein-Vehne wies in diesem Zusammenhang auch auf die besonderen fachlichen Herausforderungen für die Fachkräfte des Jugendamtes hin, die künftig Expertise zu mehreren Rechtskreisen aufweisen müssten. Zu berücksichtigen sei zudem, dass die mit der Inklusiven Jugendhilfe höheren Fallzahlen auch mit entsprechenden Personalstrukturen sowohl auf Seiten der Sozialen Dienste als auch auf Seiten der Wirtschaftlichen Jugendhilfe zu hinterlegen seien.

 

Frau Börner betonte bezüglich der Umsetzungsperspektiven, dass zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht absehbar sei, wie die gesetzlichen Rahmenbedingungen des geplanten Bundesgesetzes zur Umsetzung der Inklusiven Jugendhilfe ausgestaltet sein werden, wann diese vorliegen würden und letztlich noch nicht einmal, ob die Umsetzung wie derzeit vorgesehen auch tatsächlich stattfinden werde. Dennoch könne die Kinder- und Jugendhilfe aufgrund des hohen Komplexitätsgrades der Reform nicht bis zur Verabschiedung des Bundesgesetzes warten und müsse bereits jetzt unter unklaren Bedingungen die Umsetzung der Inklusiven Jugendhilfe vorbereiten.

 

Frau Kappen stellte exemplarisch dar, dass allein das Profil des nach § 10b SGB VIII zum 01.01.2024 einzusetzenden Verfahrenslotsen bislang weder im Hinblick auf die formale Qualifikation noch hinsichtlich der benötigten Kompetenzen klar konturiert sei. Die durch das Gesetz bundesweit entstehenden Personalbedarfe seien gigantisch, und dies angesichts des allgegenwärtigen enormen Fachkräftemangels.

 

Herr Brandhorst fragte, auf welche Unterstützungsstrukturen und Erfahrungswerte Kommunen bei der Umsetzung des Gesetzes zurückgreifen können.

 

Frau Kappen antwortete, dass es einerseits Modellkommunen gebe, an denen man sich orientieren können und dass gleichzeitig alle Kommunen aufgrund der unterschiedlichen Strukturen und mangelnder formeller Vorgaben an eigenen Umsetzungswegen arbeiteten. Im Kreis Unna und auch darüber hinaus werde es zudem einen interkommunalen Austausch geben.

 

Frau Klanke bedankte sich für den umfassenden Vortrag und formulierte großen Respekt vor den zu bewältigenden Aufgaben und Herausforderungen. Sie äußerte die Hoffnung, dass die benötigten Ausführungsvorschriften die Kommunen rechtzeitig erreichen. Perspektivisch ließen die dargestellten Entwicklungen ein großes personelles Wachstum des Jugendamtes erwarten. Sie äußerte den Wunsch, dass die Verwaltung den Jugendhilfeausschuss auch künftig über die Entwicklungen in diesem Bereich auf dem Laufenden halte.

 

Herr Grosch stellte die Frage, was die auf einer theoretischen Ebene dargestellten Entwicklungsbedarfe praktisch für das einzelne Kind/den einzelnen Jugendlichen bedeute, wie die Förderung erfolgen werde. Er bat um ein konkretes Beispiel dazu, was sich bereits geändert habe und äußerte für zukünftige Vorträge den Wunsch, diese durch praktische Beispiele zu ergänzen.

 

Frau Kappen skizzierte das Beispiel eines Kindes, das aufgrund einer Behinderung Bedarf an Unterstützung aus unterschiedlichen Rechtskreisen und Arbeitsfeldern habe. Beispielhaft benannte Sie Krankenkassen, Rehabilitationsträger, Logopäden, inklusive Kindertagesbetreuung. In der Inklusiven Jugendhilfe sei es dann so vorgesehen, dass die Familie des Kindes sich mit all den Themen an nur eine Mitarbeiterin des Jugendamtes wenden könne, die sie zu den verschiedenen Leistungsträgern lotse, zu Leistungen berate und auch bei Antragstellungen und ggf. Konflikten unterstütze. Familien sollen künftig bei allen Fragen zu Kindern und Jugendlichen lediglich eine Anlaufstelle im Jugendamt aufsuchen müssen, unabhängig davon, welchem Rechtskreis die benötigten Leistungen zuzuordnen seien. Eine spannende Frage sei dabei, wie einerseits der Bedarf an individueller Beratung und Begleitung und anderseits die zunehmende Digitalisierung und Zentralisierung von Leistungen außerhalb der Jugendhilfe – z.B. Krankenkassen mit Callcentern irgendwo in Deutschland ohne feste Ansprechpartner für einzelne Fälle – zusammenzubringen seien.